Johann Josef "Hajo" Becker
Um mit der ersten immer wieder auftretenden Konfusion gleich aufzuräumen: der aktuelle Hausherr Johann-Josef wird Hajo gerufen. Das Weingut selbst wurde allerdings schon 1893 von seinem Großvater Jean Baptiste gegründet, daher das besonders von den Amerikanern so geliebte „JayyyyBeeee“ im Namen. Also, nein, es steht nicht für James Brown, Godfather of Funk. Aber eben für einen der Paten des Weinbaus im Rheingau, sattelfest nicht nur bei roten wie weißen Trauben.
Ein wahrer Charakter, wie jeder, der ihn mal persönlich treffen durfte, sicher gerne bestätigt. Ein passionierter Segler, der lange vor irgendwelchen ideologischen Moden sehr genau überlegte, wieviel er seinen Stöcken und Böden jedes Jahr abverlangen kann.
Der sich seine Zeit nimmt, und sie seinem Wein gibt. Und der damit selbst in Jahrgängen, die Kollegen zur schieren Verzweiflung treiben hierzulande Unerhörtes zu Stande bringt. Vor allem, wenn es dann eben in den alten Kellern reifen durfte.
Rund um das Wirken der Familie gibt es manches zu erzählen, weswegen nicht nur wir uns entschieden haben, das Gespräch wieder auf mehrere Folgen zu verteilen. Inzwischen haben Hajo und seine Frau Eva Becker auch ihre eigene Reihe gestartet, die Sie unter dem Namen „Altes Weinwissen“ überall finden, wo es Podcasts gibt.
Aber genug der Vorrede: kommen Sie mit raus! Wir sind in dieser ersten Folge meist unterwegs in einem kleinen, wie Sie hören werden, sehr geländegängigen Bus in den Hügeln rund um Walluf und Eltville. Die hechelnde Freude, die Sie immer wieder hören werden, kommt von Birthe, einer Magyar-Viszla-Dame, die den Hausherrn nicht nur zur Jagd begleitet, sondern auch gerne mit jenem Bus um die Wette durch die Wingerte läuft.
Es kann also in zumindest dieser Folge auch mal ein wenig lauter werden - wir denken dennoch, es lohnt sich.
TS: Na? Und du fährst hier vorne mit? Was hat’s denn hier mit dem Weingarten auf sich?
HJB: Unser Ausschank. Hab‘ ich mir abgeguckt in Bayern. Bin früher viel gesegelt, so vor 40 Jahren, Starnberger See, Ammersee, in der Drachenklasse. Und dann habe ich einen jungen Mann kennengelernt, der sich als Prinz Luitpold von Bayern vorgestellt hatte. Und war ganz begeistert. (…). „Ich hab da eine Brauerei, fahr da mal mit und guck dir das an“, (…) war damals noch relativ klein, und hab auch die ganzen Biergärten gesehen. Und dann hab‘ ich gesagt, „Mensch Lui, das ist die Idee, ich hab‘ einen Garten am Rhein, und ich mach den ersten deutschen Weingarten auf“. Und ´85 hab‘ ich dann aufgemacht. Wir waren früher als Kommissionäre für Wienerwald tätig.
Und ich hab‘ natürlich die spinnerte Idee gehabt, da mach ich ein Franchise-Unternehmen draus und lass „Weingarten“ schützen, aber das geht nicht. Und mir wurde auch erklärt, zu dieser Zeit nach ´80 wäre auch „Wienerwald“ nicht mehr geschützt worden. Und dann hab´ ich gesagt, gut, wenn man es nicht schützen kann, mach ich‘s alleine. Und hab dann ´85 den Weingarten aufgemacht.
Hat den großen Vorteil: liegt an dem Ufer, wo keine Straße und keine Eisenbahn ist. Gibt‘s nur zwischen Walluf und Eltville. Damals war die Idee, da auch eine Autobahn lang zu bauen, wollte man durch‘s Wasser einen Damm, eine Autostraße bauen, und da hat sich der Widerstand geweckt, …, in Eltville, Wallufer Rheinufer.
Das war die erste Bürgerinitiative Deutschlands, und der Hauptinitiator ist dann auch noch zu Lebzeiten im Bund geehrt worden dafür, dass er diese Sache ins Leben gerufen hatte. Das war der Direktor Kapitzke von der Mattheus Müller Sektkellerei. Ganz viele Leute haben da mitgemacht, unter anderem mein Vater und Graf Eltz. So hat man es dann geschafft, es abzuwenden. Das war ein ganz, ganz harter Kampf, der ging bis in die 80er Jahre rein…, bis es dann endgültig entschieden war.
Jetzt sehen wir schon: das ist alles Eltville am Rhein. Ist hier oben flach, südlich von der B42 gelegen. Aber das Herzstück ist natürlich der Hang vorne. Da fahren wir jetzt hin, und gucken uns den an.
HJB: Das Ganze hier war früher Weingut Richter-Boltendahl. Die haben aber ´89 aufgehört und ich bin ein Freund der Familie, und dann haben die mich gefragt, ob ich nicht hier diesen Weinberg innerhalb ihrer Mauern, ungefähr 3 1/2 Hektar, übernehme.
Wollt‘ erst gar nicht. Aber dann hab‘ ich‘s aus Freundschaft doch gemacht. Und ich muss sagen, mittlerweile, ich liebe diese Lage. Das ist ganz toll. Wir fahren jetzt da vorne hin.
TS: So eingezäunte sieht man in Deutschland ja doch eher selten. So gerade mit Mauern und…
HJB: Das ist jetzt hier, weil’s auch an der Straße liegt. Hier unten ging’s gar nicht anders. Da brauchen wir die Stützmauern das sehen wir gleich.
HJB: Obwohl wir am Rhein sind, leiden die Stöcke hier wahnsinnig unter der Trockenheit. Ein ganz leichter sandiger Lehmboden, deshalb ist ja auch alles begrünt hier. Wenn es nicht begrünt wäre und es kommt ein Unwetter, wird alles nach unten geschwemmt.
Oben auf dem Plateau steht mehr Wasser, und vor allem, da sind die Bäume drumherum. Dort drüben, wo die hohen Bäume stehen, da ist es ganz katastrophal, die ziehen das ganze Wasser.
Das ist jetzt weiter unten. Da hängen die Stöcke noch voll, gell. Also jetzt hier oben, unter den Bäumen. Hier sieht man jetzt genau, hier, wo der Einfluss vom Baum anfängt, da unten, wo es anfängt grau zu werden in der Zeile. Habe ich noch nie erlebt. Das Erste Mal in meinem ganzen Leben. Und ich mache es seit 1962.
HJB: Das Stück haben wir ausgehauen vor zwei Jahren, das lass ich jetzt noch ein bisschen liegen. Und dann muss ich‘s so in den Hang wieder reinpflanzen, ohne dass ich es groß umdrehe, weil, wie gesagt, wenn hier Unwetter kommt, ist alles in Gefahr.
Und teilweise, wenn es hier nass ist, feucht ist, fahr ich sogar mit Schneeketten hier, damit ich nicht ins Rutschen komme.
TS: OK.
HJB: Und ich habe es geschafft, da hinten an der Stelle, drei Mal abzustürzen. Mit dem Schlepper durch den Zaun gefahren, so ungefähr die Höhe, und dann…
TS: Autsch.
HJB: Und lebe immer noch. Da bin ich dem lieben Gott ganz dankbar. Wie sagt man so schön, eine Katze hat drei Leben. Also, ich fahre dahinten jetzt nicht mehr, weil, das Risiko gehe ich nicht ein. Auch meine Frau hätte was dagegen.
HJB: Ja, haben Sie Fragen hier zu dem?
TS: Ja, das ist ja so eine Gefahr, die Leute, glaub ich, gerne unterschätzen. Mein Opa hat auch in Rüdesheim mit dem Baubetrieb, für den er gearbeitet hat, Terrassen angelegt, wo die Raupen dann teilweise oben angekettet wurden.
HJB: Ja, wie das ist.
Jetzt waren wir hier unten in dem Weinberg, direkt am Rhein. Und jetzt gehen wir in den Hang hoch?
TS: Und das gehört alles aber am Ende zur selben Lage?
HJB: Bitte? Nein, das ist alles Rheinberg. Was wir hier sehen, ist alles Rheinberg. Wenn wir jetzt zur anderen Lage fahren, dann sehen wir weiter (…).
TS: OK. Aber was hier die Neigung hat, und die Stücke oben?
HJB: Ist alles gleich, also dieselbe Lage.
TS: Und die werden am Ende dann auch durchmischt gefüllt?
HJB: Ja, sie werden teilweise getrennt. Ein Großteil geht bei mir in den Rheinberg-Sekt. Die Weine sind sehr fruchtig und haben, trotzdem sie hier auf dem Sandboden, dem lehmigen Sand stehen, doch noch genug Säure. Das geht also richtig gut.
TS: Du hast dein ganzes Leben hier gewohnt, oder?
HJB: Ich bin 1945 im Nachbarhaus, wo wir jetzt waren, geboren. Und war nie länger als, ich glaub, 28 Tage an einem Stück hier weg. Das war ein Segeltörn in der Ostsee.
TS: Das dürfte dann als verwurzelt durchgehen.
HJB: Das kann man schon sagen, oder?
TS: Also, die Bäume sind ganz gut mit dir vertraut.
HJB: Aber auch die leiden jetzt schon, man sieht’s ja hier, die fangen ja auch schon an, zu trocknen. Auch hier, dieser kleine Nussbaum, der dort steht, das ist auch alles schon dünn, was da ist. Und auch oben hier, wenn man da reinguckt, da sieht man halt richtig, wie es hell ist, dünn ist, und hier unten, am Fuß vom Hang, da ist es noch sattgrün. So sehen die normal aus, so haben die auch voriges Jahr noch ausgesehen. Nur voriges Jahr sind wir gestartet mit einem vollen Grundwasserspeicher, und dieses Jahr haben wir keinen vollen Grundwasserspeicher. Wir haben zwar zwischendrin mal mehr Niederschlag gehabt, aber das hilft natürlich alles nix. Es ist unten im Boden halt zu trocken. Da kommen die an nix.
TS: Wie wirkt sich denn sowas wie ein Hochwasser mittelfristig aus?
HJB: Gar nicht. Gar nicht. Hier auf die Weinqualität nicht. Diese Weine, die auf der Insel wachsen, Mariannenaue oder so, die kriegen nasse Füße…
Passantin grüßt rufend.
HJB: Ach, hallo! Das ist die Sarah, die macht den Ausschank bei uns. Gut.
TS: Also, als du da drüben in diesem Haus nebenan geboren bist, da gab‘s schon auch Weinbau in der Familie.
HJB: Natürlich, mein Großvater hat das 1893 gegründet. Und das war ein Restaurant, vom Großvater. Das war der Schwan. Den haben die ´32 gekauft, und in der Zeit hat auch mein Vater hier ein Weingut aufgegeben. Das war das Weingut der Brockhues AG, das ist eine Firma, die Erdfarben herstellt. Und die haben ihr Weingut aufgegeben. Und da kommt der Haupt-Löwenanteil des Walkenbergs her. Und da wir als Küfer - wir haben als Küfer auch anderen Leuten den Wein gemacht, und haben auch Fässer gebaut, mein Großvater, mein Vater hat‘s auch noch gelernt. Ich bin der erste, der es nicht mehr gelernt hat mit dem Fässerbauen. Heute ärgere ich mich. Aber es war halt auch alles eine Hetze: mein Vater war 50 Jahre älter als ich, und da blieb einfach keine Zeit - der Junge muss durchgeprügelt werden, Lehre, Geisenheim. Und dann hab‘ ich meinen Vater noch bis ´73 gehabt und dann stand ich da.
Aber schon OK. Nur, man merkt, wenn der Vater weg ist, dann wird‘s plötzlich zugig am Rücken. Dann fehlt sowas. Man hat sich zwar oft mit ihm gestritten oder Kämpfchen ausgefochten, die aber immer bei uns freundschaftlich geendet sind, es ist nie was hängengeblieben. Aber dann war plötzlich das Gefühl, der Alte ist nicht mehr da, das ist schon…, und selbst nach dieser langen Zeit jetzt, denke ich immer mal so, was hätte der Alte jetzt gemacht? Das ist also schon so, dass man da eine gewisse Bindung nie verliert.
Das ist, wenn man sich halt so gut versteht.
TS: Ja, ich denk mal, das ist ja für viele Familienbetriebe, und gerade bei Winzern, eine enorme Herausforderung.
HJB: Aber auch eine schöne Herausforderung.
TS: Und den Opa hast du dann nicht mehr kennengelernt?
HJB: Der wusste, dass ich unterwegs war, und der hat, ich muss sagen, einen sensationellen Tod gehabt. Der saß… 1944, glaub ich, saß der im Spätsommer unten im Schwanengarten, also, das ist direkt der Garten neben uns. Und früher sind noch die großen Dampfschifffahrtsboote hier… die haben angelegt. Und da waren Kinder am Schwimmen, und in den Sog von dem Schiff ist plötzlich so ein 16-Jähriger reingezogen worden, und der Alte natürlich: sportlich, Turner, Jacke ausgezogen, über die Mauer gesprungen, ins Wasser, das Kind rausgezogen, da ist auch nix passiert. Und dann ist er ins Haus und ruft in die Küche rein: „Mathilde, mach mir mal einen Tee, ich zieh mir schnell trockene Kleider an“. Kam die hoch, lag er tot im Bett. Natürlich ein toller Tod, gell. Nicht gelitten, gar nix, ein Leben gerettet.
TS: Recht poetisch eigentlich.
HJB: Nee, der hat auch… ein Wallufer hat auch über ihn ein Gedicht geschrieben. Hängt irgendwo im Büro an der Wand.
HJB: Hi, ihr zwei! So, wechseln wir mal den Standort.
TS: Genau.
TS: Und das war dann jener Opa, nach dem das auch benannt ist?
HJB: Jean Baptiste. Der hat‘s gegründet und deswegen steht ja heut noch auf dem Etikett Jean Baptiste Becker.
(Ab hier leider nur Text.)
TS: Und war das dann schon Vollbetrieb?
HJB: Der hat auch ein Restaurant gehabt, das war damals sehr einfach, hat Fässer für andere gebaut, Weine für andere ausgebaut. Und hat halt auch mehr oder weniger Weinhandel betrieben.
Und dann hat er von meinem Urgroßvater das Geld bekommen und ein Paar Wingerte gekauft, und dann den Weinbau und Weinhandel aufgemacht. Der Handel war früher noch wichtiger.
Der Handel hat noch bis in die 60er Jahre Sinn gemacht. Dann haben wir teilweise noch Fassware im Rheingau gekauft. Kühl gelegt, reifen lassen, dann verkauft. Dann kam das Telefon, Auto, dann sind die Leute ins Gebiet gefahren. Haben sich von uns vielleicht Proben schicken lassen, sind dann gleich weitergefahren und haben ihn gekauft.
TS: Und in welchem Umfang wurde dann der Handel betrieben?
HJB: Das war ganz viel Weinhändler/Gastronomie. Es war ja auch früher so: vor dem, zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg wurde ja ganz viel Gastwirtschaft beliefert.
Da ist übrigens Spätburgunder noch, wird gerade geschnitten.
(Wiederaufnahme der Tonspur im Podcast)
TS: Und spielt nicht einer in der Familie noch eine Rolle als Kommissionär, oder?
HJB: Doch, das war ja auch mein Vater.
TS: Das ist ja so eine Rolle, die relativ schwierig zu verstehen ist.
HJB: Ja, der Kommissionär ist der Mittler zwischen Handel und Erzeuger. Und es nicht ganz einfach. Der Kommissionär ist auch ein eigener Berufsstand. Im Handelsrecht ist der Kommissionär extra erwähnt, der Weinkommissionär. Der kauft auf eigene Rechnung für Dritte, und berechnet dann eine ausgehandelte Kommission. Stellt aus der (…). Sofern er nicht beiden Partnern sagt, der Wein kommt von hier, oder, der Wein geht dahin. Früher gab es ja Kommissionäre, die wollten einfach nicht, dass die Güter und ihre Klientel direkt Geschäfte machen, und haben (…) gesagt. Damit mussten die auch halt haften, wenn was passiert ist. Auch das ist auch so eine Geschichte in der heutigen schnelllebigen Zeit. Es gibt noch Kommissionäre, es gibt auch hier noch Kommissionäre im großen Stil. Ich aber darf’s nicht, nur noch für einen alten Kunden hier, eine Sektkellerei.
So, wenn wir hier rüberschauen, das ist Richtung Eltville, da gibt es den Eltviller Sonnenberg, wo wir auch schon immer Weine, Weinberge hatten. Und die Seite hier, früher Ortsteil Ober-Walluf. Das ist der Vitusberg, und hintendran das Langenstück. Da haben wir nichts. Vitusberg ist auch eine recht gute Lage.
Übrigens, da unten, dieser Hof, an dem wir vorbeigefahren sind, das ist der Steinheimer Hof. Der hat zum Haus Luxemburg gehört, und die haben es in den 50er Jahren ans Land Hessen verkauft, ist eine hessische Staatsdomäne. Ganz, ganz besonders gute Böden, die es früher im Osten an der Börde oben gab. Ganz hohe Qualitätszahlen. Und es gab mal Bestrebungen, dass die hessische Landesregierung da Weinberge draus machen wollte. Aber auch das haben wir zum Glück verhindern können, denn das ist einfach schön, so ein Auge Landwirtschaft innerhalb der Weinbergskultur zu haben. Man kann nicht alles nach Profit beurteilen und sagen, das ist halt mehr…
So, jetzt, hier ist die Gemarkungsgrenze. Das ist das Vitusbergkreuz, das hier steht. So, jetzt fahren wir nach Eltville rein. Und dieses ganze Gebiet hier ist jetzt halt Sonnenberg, war aber früher verschiedene Lagen, das hieß Klümpchen, hieß Grimm, alle möglichen Lagen, aber im Rahmen der Namenvereinfachung hat man halt alles zusammengelegt. Und wenn wir jetzt hier hingucken, da sind richtig fette Lehmböden.
Da gibt‘s ganz opulente Weine. Während eben der Original-Sonnenberg, zu dem wir jetzt hinfahren, das ist ganz kiesiger Boden, die Weine sind mineralischer, sind fruchtiger. Auch schlanker. Und auch da haben wir jetzt, da oben, wo dieses Häuschen steht, das ist mal zu Zeiten Kaiser Wilhelms als Wilhelmshöhe von dem Wanderverein hier gebaut worden, als Wahrzeichen. Genau da ist das Herz des Sonnenbergs früher gewesen. Das heißt alles, was jetzt rechts war, hieß früher schon mal Sonnenberg. Noch ein bisschen weiter vorne, ab dem Weg.
TS: Und der Wilhelms-Turm war nicht hoch genug, um gesprengt zu werden, wie vielerorten?
HJB: Du liebe Zeit, das war einfach ein Wanderhäuschen! Wenn man jetzt hier hinguckt, sind immer mehr weiße Steine drin. Hier fängt das Kiesige schon an. Und da drüben: das ist jetzt Sonnenberg, die Originallage, das sind wir auch noch hier. Das sind alte Reben, die hab‘ ich stehen lassen. Das Stück, was uns gehört, geht noch hier rüber. Das steht jetzt diagonal drin, das war früher so, und ich wollt die jetzt nicht rausnehmen, weil, oben hab‘ ich eine Neuanlage gepflanzt. Die ist noch nicht so weit, dass sie mir hier…
Das ist jetzt die Junganlage Sonnenberg. Aber wenn man jetzt hier reinguckt, das ist ein ganz kiesiger Boden. Ganz viel Gestein dran. Und die sehen jetzt schon wieder gestresst aus, sehen Sie? Da ist kaum Wuchs. Da hab‘ ich auch gut fast die Hälfte der Ernte schon rausschneiden lassen aus dem Boden. Da hängen auch pro Trieb nur noch ein bis zwei Trauben drin.
Von hier aus hat man natürlich einen wunderschönen Blick über den Rhein. Hier, die Burg Eltville, der Turm, wo der Gutenberg auch viel war, Eltville ist ja die Gutenbergstadt. Da hinten, wo der Turm steht mit dem M, das ist das Gebiet, wo die Sektkellerei Matheus Müller ist.
Gegenüber, das Gebäude auf der Aue im Rhein, sehen Sie das überhaupt? Das ist die sogenannte Königsklinge Aue. Das ist auch so Ende 1800, Anfang 1900 gebaut vom Grafen Franken-Siersdorf. Aber diese Aue gehört nicht zu Hessen, also, wenn da Wein drauf angebaut wird, das wäre Rheinhessen, währenddessen die Aue da unten, die Mariannenaue, wo das Schloss Reinhartshausen dazugehört, das ist auch auf der Aue, das ist Rheingauer Wein.
TS: Der Rhein ist ja recht breit hier.
HJB: Der Rhein hier ist breit. Der fließt ja ab Mainz bis nach Rüdesheim von Ost nach West. Und die ganzen Hänge hier gucken meistens nach Süden, Süd-West. Sind deshalb halt prädestiniert für den Wein. Und was ganz Wichtiges sehen wir hier oben, das ist die geschlossene Bewaldung oberhalb der Weinbergslage. Dadurch sind wir geschützt gegen die Strahlungsfröste. Und wenn der Wald weg wäre, würde sich das Klima total verändern.
Hier: das ist jetzt hier diese Kieserde. Das hab‘ ich alles abschneiden lassen. Ist überhaupt kein Wuchs mehr dran. Da hab‘ ich Angst, dass die kollabieren, vielleicht eintrocknen, und gar nicht mehr kommen.
Da drüben ist schon die Gemarkung Martinsthal, mit dem Häuschen da oben. Das hier sind alles Weinberge, wo früher kein Weinbau war. Hier haben Obstbäume gestanden. Mittlerweile ist es halt rentierlicher.
So, jetzt müssen wir noch den Hund einladen. Hopp!
TS: Na, hattste Spaß?
HJB: Da oben, dieses Haus am Wald: das ist die Gemarkungsgrenze zwischen Martinsthal und Walluf. Walluf ist eine ziemlich kleine Gemarkung, gegenüber den anderen. Walluf hat um die 90 Hektar, mehr ist das nicht.
Hier drüben ist Mainz. Da sieht man den Dom, die Spitze. Dieses kuppelige Ding, was da rausguckt, ist das ZDF, Lerchenberg.
Rechts, der Weinberg am Haus, der gehört noch zu Walluf. Dann springt die Grenze ein bisschen weiter, und dann geht es so zack, zack, zack nach unten. Da fahren wir jetzt aber gleich noch vorbei. Auf was wir jetzt hier gucken, ist der Wallufer Berg Bildstock. Und, mal schauen, ob uns die Bäume die Sicht versperren oder nicht, ja, es geht einigermaßen… Hier kommen die Zeilen runter, runter, und dann kommt so ein Hügel davor, und da drüber der Weg, das ist die Grenze zum Oberberg. Oberberg ist nur so ein Winkel. Das sehen wir gleich, wenn wir vorbeifahren.
TS: Wie groß ist jener Winkel dann?
HJB: Oberberg oben? Wenn Sie es genau wissen wollen, müsst ich‘s nachgucken, aber ich denk mal, 30 Hektar, 40 Hektar. Walkenberg ist 30 Hektar, Bildstock ist ein bisschen größer. Und bei der Klassifizierung zum Ersten Gewächs kam natürlich Walluf unglaublich gut weg. Da ist bis auf den Oberberg fast alles klassifiziert worden.
Und dann haben die Leute sich aufgeregt und haben gesagt, ja, im Rheingau, das ist ja keine Klassifizierung, fast 35 Prozent der Lagen klassifiziert. Da muss man sagen, das ist einfach wissenschaftlich so rausgekommen. Wenn man ganz Deutschland nimmt und dem Rheingau entgegensetzt, dann würde vielleicht der Rheingau zu 100 Prozent klassifiziert sein.
Das ist halt eine von Gott geküsste Gegend für Wein. Aber es ist ja so, dass es auch nicht ausgenutzt wird. Erste Gewächse gibt’s vielleicht drei Prozent im Rheingau.
TS: Und was ist die Überlegung dahinter, das so wenig zu nutzen?
HJB: Das ist einfach der Gedanke auch in Frankreich: Grand-Cru-Lagen und sowas. Die Erfinder, die Väter des Ersten-Gewächs-Weins, der Bernhard Breuer und der Graf Matuschka - für die war der Sinn, einen leicht verständlichen Wein für die Gastronomie zu erzeugen, der einfach ein bisschen mehr Restsüße hatte wie der Trockene sowieso, deshalb haben sie das auf dreizehn Gramm gesetzt, also geschmacklich trocken, auch nicht an Qualitätsstufen gebunden, dass er auch in den schwächeren Jahren mal chaptalisieren kann. Was ja auch die Franzosen machen. Und das war mal die Grundidee, sowas zu machen.
Der Vater von der Theresa. Der war ein bisschen… oder gleichalt wie ich, vielleicht ein, zwei Jahre jünger. Leider Gottes viel, viel zu früh gestorben. Das war ein wirklich toller Mann. Jetzt fahren wir am Walkenberg vorbei, da fahren wir nachher wieder hin. Das hier ist neuerdings zum Walkenberg dazu genommen worden. Das war früher kein Walkenberg, da standen Obstbäume. Das war dann ´71 die Auswahl, der Original-Walkenberg hat vielleicht 15 Hektar gehabt, mittlerweile sind es 30. Weiter links, das ist jetzt… und dann quetscht noch eine Straße durch…, jetzt kreuzen wir gleich diese Autostraße, die sie normalerweise bei uns unten an den Rhein bauen wollten.
Oberberg sind die Zeilen, die senkrecht runterlaufen. Und Bildstock hier ist quergeteilt. Und dann geht’s um die Ecke und dann hoch. Früher war das ja Unterberg, Mittelberg, Oberberg, und in den 50er Jahren beim Jäten mit Spaten und Hacke haben unsere Arbeiter diesen Bildstock ausgegraben, der da steht. Und dann wurde er restauriert und auf diese Ecke gestellt, und dann haben die Alten sich überlegt, dann machen wir jetzt doch einfach aus dem Unterberg und dem Mittelberg den Wallufer Berg Bildstock, und das oben bleibt dann eben Oberberg.
Was du hier teils siehst: das rechts ist Oberberg, das links ist Bildstock und hier vorne, der Weg rein, ist unten im Bildstock und oben Oberberg. Wir können auch noch ein bisschen näherfahren.
Hier, mal ganz schön zu sehen: die Anlage gehört zu uns. Und das ist ein Nachbar aus Rauenthal. Da sind die Stöcke hochgezogen, und bei uns sind die ganz weit unten am Boden. Wir haben eine wesentlich höhere Laubwand wie hier. Also mehr Eigenverschattung, höhere Assimilationsfläche. Und wir haben auch nur eine Zeilenbreite von 1,60m, weil, ich will möglichst viel Stöcke auf dem Hektar haben. Das ist, wie wenn ich Leute an den Sandhaufen stelle zum Aufladen, wenn da einer steht, der macht sich kaputt, und wenn da vier aufladen, geht es ruckzuck. Und so ist es auch mit der Rebe. Wenn viele Stöcke produzieren, braucht der eine Stock nicht zu viele Nährstoffe.
TS: Also die nehmen nicht einander weg, sondern sind dann genügsamer?
HJB: Die nehmen sich schon auch mal ein bisschen was. Das ist eine Geschichte, die mir ein alter Verwalter erzählt hat… Du kannst, wenn du die eng pflanzt, und nicht viel erntest, wir ernten ja reduziert, dann brauch ich natürlich gar nicht zu düngen. Dann kommen wir ohne Stickstoff aus.
Der Unterschied zwischen Oberberg und Bildstock vom Boden her ist, dass hier im Oberberg ein bisschen mehr Lette im Boden ist. Auch in der Oberschicht, mit der Wasserführung, hat gute Säurewerte. Aber ich muss ihn auch dann bearbeiten, wenn es Zeit ist. Wenn es mal geregnet hat, wenn ich den eintrocknen lasse, komme ich da nicht mehr ran.
Im Bildstock unten ist es ähnlich wie im Sonnenberg: Hier ist mehr Kiesanteil drin. Die Weine sind auch ähnlich fruchtig.
TS: Was heißt das denn: „ich komm da nicht mehr ran“?
HJB: Wenn der Boden festgebacken ist, ist er zu. Und das ist natürlich schlecht. Dann ist er zu trocken.
HJB: Das ist auch eine Anlage von uns, siehst du das? Zwölf Jahre alt. Auch hier sieht man wieder, ganz tief gezogen. Der ist jetzt noch nicht ausgedünnt, da werden noch Trauben weggeschnitten. Das ist zu viel, was da drinhängt.
TS: Und spielt diese geringe Erntemenge auch mit da rein, dass ihr dann in Jahrgängen, die vermeintlich als schwächer gelten, dennoch…?
HJB: Klar…, vor allen Dingen, ich hab' mehr Mineralstoffe drin. Das mit der geringen Erntemenge, das kam, als ich anfing, trockene Weine zu machen. Ich hatte dir das ja mal erzählt: In der Lehre das erste Mal einen trockenen Riesling probiert, war völlig begeistert vom Geschmack, hab bei meinem Lehrherren freudig erzählt, da hat er mich mitleidig angeguckt und hat gesagt, „mein lieber Becker, im Rheingau kannst du keinen Riesling unter 20 Gramm Restzucker bekommen“. Dann hatte ich eben den Ehrgeiz, dem Rheingau zu zeigen, dass es auch anders geht.
Es gab ja mal Jahre da waren wir die einzigsten, die wirklich trockene Weine produziert haben, und trockene Weine, die wirklich trocken waren. Die haben keine 8 Gramm Restzucker gehabt, die waren wirklich trocken. Und das geht nur, wenn ich geringe Erntemengen hab‘. Wenn ich z.B. neun Promille Säure mit 100 Hektolitern ernte, dann hab‘ ich einen PH-Wert von 2,8. Wenn ich neun Promille Säure mit 45, 50 Hektoliter ernte, dann habe ich einen PH-Wert von 3,7. Und das ist das ganze Geheimnis. Ich muss nichts kaschieren. Ich muss da keine Säure… Hier haben wir jetzt Müller-Thurgau. Der einzige Müller-Thurgau, den ich noch habe. Der war immer Müller-Thurgau, kann mich gar nicht anders erinnern.
TS: Wurde der vom Segeln mitgebracht?
HJB: Nö, nö, das war schon. Mein Vater hatte den schon angeschafft. Da sind jetzt meine Polen drin, die dünnen aus. Macht auch keiner. Die sagen alle, Müller-Thurgau braucht man viele Mengen, (…) aber total fruchtige tolle Weine. Und ich hab jetzt die Idee, Müller-Thurgau mal ein bisschen zu forcieren.
Das hier oben war mal eine alte Kneipe, die hieß Zum Eicheneck. Die hat existiert bis Anfang der 60er Jahre. Dann hat sich der Besitzer erschossen, die Kinder haben das Erbe ausgeschlagen und es ist an die Kommune gefallen. Dann war das der Sitz des damaligen Jagdpächters, da war das noch toll in Ordnung. Und dann hatten wir einen Bürgermeister, der hat gesagt, ach, das kann die Gemeinde doch nutzen und hat dem gekündigt, rausgeschmissen. Ja, und jetzt hier, das ist Gemeinde genutzt, jetzt ist der Zaun noch kaputt. Jetzt wollten wir da, vor 20 Jahren hatte ich die Idee, hier oben einen Waldkindergarten hinzumachen, ich mache ja ein bisschen Politik. Da haben wir auch einen Waldkindergartenverein gegründet. Das hat der Gemeinde auch nicht geschmeckt. Und die Eltern haben gesagt, ja, wie? Kein Ganztagskindergarten? Und da hab‘ ich gesagt, Leute, Waldkindergarten, geht nicht. Wenn die sechs Stunden draußen waren, sind die platt, dann sind die fertig. Jetzt hab‘ ich ein paar neue junge Leute heiß gemacht, vielleicht kriegen die das Projekt wieder durchgezogen.
Hat man natürlich auch einen ganz schönen Blick hier. Das heißt, von drüben ist der Blick noch schöner.
Hier oben, der Elektrozaun, den muss ich jetzt nächste Woche anschalten, sonst gehen die Wildschweine rein, und wenn die anfangen, (…) ist alles weg.
Da wird jetzt grad Laub geschnitten. Ah, da oben sind sie, die zwei Polen. Ganz tolle Leute. Der eine kommt schon über zwanzig Jahre zu mir, der andere fünfzehn Jahre. Die sind mit Herzblut dabei. Die sehen die Arbeit, die sagen, „Chef, hier müssen wir noch hin“. Die würden auch nie irgendwo mal rumtrödeln, es gibt ja so Leute, wenn die merken, ach, ist nur noch eine halbe Stunde, komm, mach mal ein bisschen langsam, dass wir dann mal heimfahren mit ein bisschen Umwegen und so. Nein, die fangen den nächsten Weinberg noch an. Werden auch mittlerweile natürlich ganz gut bezahlt von mir. Die sind voll versichert, voll angemeldet hier.
Dieser Bus hat Allrad und Differenzialsperre, sonst könnten wir hier nicht so... Den hab‘ ich mir für die Jagd an und für sich gekauft, deswegen hat der zwei Schiebetüren. Ich hab‘ vor vier Jahren meinen einzigen Hirsch geschossen, den habe ich alleine mit meiner Frau hier ins Auto geschafft.
TS: Wieviele Leute seid ihr mittlerweile?
HJB: Ja, die zwei Polen, und hier, die Familie. Denen musste ich zwar viel beibringen, denen muss ich immer noch viel beibringen, aber die machen auch nichts kaputt. Wenn man so andere hat, die wissen alles besser wie der Chef, und dann werden die Maschinen hingestellt, und dann stimmt was nicht. Fürchterlich. Ich hab‘ ja am Anfang allein arbeiten müssen hier, weil ich noch keinen hatte. Katastrophe. Alles was ich angepackt hab‘, war marode.
Da drüben schaut man jetzt auf Rauenthal. Das ist der Rauenthaler Berg. Und da um die Ecke, das ist eine Spitzenlage, der Rauenthaler Baiken. Und das Häuschen, jetzt sieht man’s nicht, sieht man’s gleich wieder? Das ist der Nonnenberg vom Breuer.
Das ist jetzt noch Walluf und dann kommt die Grenze, hier runter, dann nochmal...
Und jetzt fahren wir noch mal da untenrum.
TS: Ja, die Größenverhältnisse in dem Tal sind ja optisch sehr täuschend. Also, es wirkt doch viel, viel größer als man beim ersten Besuch denkt.
HJB: Ach so. Ja, der Rheingau hat ja bloß 3000 Hektar. Allerdings ist es beim Rheingau halt eben so, diese 3000 Hektar sind wie ein Stück. Was ähnliches hat man ja an der Cote d’Or. Das sind auch die zwei einzigen Weinbaugebiete, die so geschlossen da liegen. Bei allen anderen Weinbaugebieten ist ja noch ein größeres Stück irgendwas dazwischen, auch in Franken und so.
Und das hat schon der Frank Schoonmaker in seinen ersten Büchern so geschrieben. Frank Schoonmaker war der erste Journalist, der weltweit Weinbau beschrieben hat. Kennen Sie die Bücher? Und das war ein guter Freund meines Vaters, der hat schon mit meinem Vater Exportgeschäfte in den 30er Jahren gemacht.
TS: Das war ja damals eher nicht so verbreitet, sich anzuschauen, was machen die anderswo so?
HJB: Übrigens, der Frank Schoonmaker war mit der US-Armee im Zweiten Weltkrieg. Und der hat dafür gesorgt, dass Schloss Johannisberg nicht geplündert wurde. Der hat gesagt, hier lasst ihr die Finger von. Und Becker/Walluf ist auch tabu. Und die haben immer auf dem Schloss dann erzählt, ja, und es gab angeblich mal einen Amerikaner, der… Vor ein paar Jahren war ich auch da oben und da hab ich mir den Betriebsleiter geschnappt. In dem Keller sind ja Fässer unten, so große, wo Sprüche draufstehen. Da ist auch eins mit dem Frank Schoonmaker. Hier, guck, das ist der Mann, der euch den Hals gerettet hat. Der hat dafür gesorgt, dass hier keiner rein ist. Das wusste natürlich der alte (Christian) Labonte, aber der war vielleicht so vergrämt, dass er weg ist, dass er es vielleicht seinen Nachfolgern nicht erzählt hat. Das gibt’s alles.
Und das hier ist, früher hieß das Martinsthaler Gaisberg, heißt jetzt Martinsthaler Rödchen. Und Martinsthaler Gaisberg war einer der ersten Weinberge, die mein Großvater gekauft hat. Und jetzt hab‘ ich da wieder ein bisschen zurückgekauft. Hier die Ecke (…). (…). Und dann, dieser sehr leidende, dürre Weinberg, da hab‘ ich auch fast alles runtergeschnitten.
Das ist übrigens der Weinberg, der Eva jetzt gehört. Den hab‘ ich ihr vor drei Jahren überschrieben. Weil sie unbedingt gesagt hat, „ich will was Eigenes!“ „so, hier, haste was“.
Toni Jost, Bacharach, sagt Ihnen was? Das ist Toni Jost, Bacharach. Peters Mutter ist eine geborene Weller aus Walluf, und das war eins der richtig guten Weingüter hier. Der hat auch den größten Besitz im Walkenberg neben mir. (…)
Jetzt kommen wir zum Berg Bildstock, der zu uns gehört. Das ist einmal hier so eine alte Anlage, die ist 50 Jahre alt. Wird natürlich auch ärmlicher. Ich muss mal gucken, ob ich die nächstes Jahr überhaupt noch halten kann, sieht alles ganz dünn aus. Und der hier ist vor ein paar-und-zwanzig Jahren gepflanzt. Aber auch hier sieht man die Trockenheit an den Blättern.
Und das ist eben der etwas leichtere Boden. Nicht so schwer wie oben. Wenn man hinguckt, ist ähnlich wie im Sonnenberg.
TS: Scheint auch deutlich weniger Gestein zu sein.
HJB: Ja. (…) Das ist ziemlich unterschiedlich. Auf der unteren Seite zum Rhein hin ist es mehr steinig, und oben auf dem Hang wird es dann total lehmig.
TS: Aber geologisch scheint ja hier nochmal deutlich mehr passiert zu sein als so an den Nebenflüssen.
HJB: Ja, das ist ja alles… du musst dir vorstellen, das war ja alles ein Riesenmeer hier, gell. Bevor der Taunus und der Hunsrück durch den Rhein durchgeschnitten wurden, stand ja hier alles unter Wasser. Da oben am Wald, das war die Küste. Und im Wald selbst gibt es Sandgruben, wo die Sand holen, von früher, da ist eben die Sedimentation reingekommen. Und wie das dann gefallen ist…, hier ist ja ganz viel Löss auch. Also angewehtes. Und, Walkenberg unten ist Braunerde drunter, gute Wasserführung. Da hinten, Rödchen, da ist unten richtig dicht Lett, fast wie Ton. Und hat auch ´ne gute Wasserführung. Die einzigen, wo es mit der Wasserführung halt ein bisschen eng wird, ist Sonnenberg, und dann auch so hier, wo zu viel Kies drin ist. (…).
Aber man muss jetzt erst mal abwarten, die nächsten Jahre, gell. Also, wenn wir dieses Jahr wieder keine Winterfeuchtigkeit kriegen, dann sag ich gute Nacht hier. Dann gibt’s einige Standorte, die… Es macht keinen Sinn. Es macht für mich keinen Sinn, anfangen mit Bewässerung einzubauen. Denn wenn jetzt plötzlich alle hier bewässern, dann wird’s verboten. Wir haben das Wasser nicht. Wo soll denn das Wasser herkommen? Es ist ja im Moment schon verboten, aus den Bächen oder Flüssen Wasser zu holen. Ja, und Trinkwasser ist ja sowieso schon knapp.
Walluf hat zu meiner Jugendzeit in den 50er Jahren mit dem Ort Ober-Walluf zusammen mal grade 1500 Leute gehabt. Heute sind wir an der Grenze zu 6000. Und die machen immer noch neues Bauland, das ist mein großer Kampf auch in der Politik, deshalb bin ich auch in die Politik gegangen. Alles neu, alles neu! Altes Ackerland…
TS: Gibt es bei der Winterfeuchtigkeit einen Unterschied, ob die als Regen oder als Schnee kommt?
HJB: Nee, die Hauptsache ist, sie geht in den Boden rein.
TS: Wo kam denn all das Geld in Eltville her?
HJB: Die Leute, die hier reinkamen. Und dann gab‘s ja hier diese Sektkellerei. Und dann war ja hier der Graf Eltz in Eltville, auch nicht so ganz unvermögend. (…) Es ziehen z.B. auch viel Leute her…die erste Villa hier Richtung Eltville, die alte, die Hagedorn-Villa. Der Hagedorn hat das ganze Schienennetz gebaut. Der hat auch in Südwestafrika das ganze Ding gebaut. Und der hat im selben Stil nochmal ein Haus an der Cote d’Azur gehabt. Und wenn der mit der ganzen Equipage hier angefahren kam, dann wurde der Zug zwischen Eltville und Walluf angehalten. Da sind Riesen-Entlade-Dinger aufgebaut worden. Dann ist der da mit 60, 70 Leuten durch‘s Quartier hier in sein Haus im Rheingau.
Es muss ein Luxus…, ich selbst hab das von innen nicht gesehen, in der Zeit, da waren, glaub ich, 30 oder 40 Bäder schon drin. Und dann hat…, in der NS-Zeit haben die hier die Marineschule reingesetzt, und aus dem Grund sind hier einige Sachen gebombt worden. Die wollten diese Marineschule treffen, und haben z.B. im Rheinberg, wo wir eben waren, das (…) ist neugebaut, diese alte Villa getroffen. Und die Dinger sind vertrieben, und dann haben die auch Schloss Johannisberg bombardiert. War alles nicht gewollt. Wollt‘ kein Mensch im Rheingau was kaputtmachen. Das ging nur hier um dieses Ding. Und dann haben die ja so Christbäume gestellt gehabt, wo die die Bomben fallen lassen, da war viel Wind, da sind die vertrieben worden, da haben sie an den falschen Stellen die Bomben geworfen.
TS: Es gibt ja hier ganz klar einen Sinn für Geschichte, wie oft denkt man denn darüber nach, so wie das in ein, zwei Generation so aussieht?
HJB: Die nächsten paar Jahre, Jahrzehnte sind wir gesichert…
HJB: Wenn sich niemand findet, ja, dann war's das. Es gibt viele Dinge, die irgendwann mal zu Ende gehen. Hier ist alles endlich.
Ich habe grad erzählt, Peter Jakob Kühn hier, der Sohn hat auch ganz spät erst gesagt, „so! Schnitt, jetzt mach ich’s.“ Der wollte auch zuerst nicht.
TS: Wobei ganz spät ja auch relativ ist, wenn man damit aufwächst. Weil man ja doch ziemlich viel über Osmose mitbekommt.
HJB: Ja, der ist damit aufgewachsen, aber der ist dann studieren, war weg, sagte, ich will damit nichts mehr zu tun haben. Da war der bestimmt schon über zwanzig.
TS: Das ist ja heute für manche Person auch noch recht früh, um eine Idee davon zu haben, was man machen will.
HJB: Das schlimmste ist, wenn man Leute wohin schubsen will - und da verdirbt man ganz viel. Einfach wachsen lassen. Man kann ja an der richtigen Stelle so platziert was einfallen lassen.
TS: Hattest du jemals einen Ausbruchsgedanken? Dass du was ganz anderes machen wollen würdest?
HJB: Nee, bei mir war das anders. Doch, ich hab‘ nur überlegt, was ich machen würde, wenn ich‘s nicht machen würde… hätte ich Jura studiert.
TS: Daher die Liebe zum Prozessieren.
HJB: Nee, ich habe so einen Gerechtigkeitssinn. Wenn ich was sehe, was schräg geht, kann ich nicht weitergehen. Da muss ich… Ist manchmal nicht so hilfreich, macht auch nicht unbedingt Freunde… - Wer steht da oben vor der Tür bei uns?
In der nächsten Folge dann geht es nicht nur in den Keller, sondern auch in einen Teil des Außenbetriebs, wo nicht nur die alten Segelboote und Kutschen auf ihre Erweckung warten, sondern auch jener Raum, wo sich Hajo Becker mal für ein paar Jahre zurückzog.
Es wird auch wieder um Geschichte gehen, um Ernsthaftigkeit und Prinzipientreue.
Und, ja, um den Glasstopfen.
Aber all das dann in der nächsten Folge. Wir freuen uns auf Sie!
Dies war Episode 6 von Charakter/Böden, einer Yadastar-Produktion.
Marc Übel war wie immer dafür verantwortlich, dass trotz aller technischen Widrigkeiten noch etwas zu hören war.
Er und Denis Hürter sorgten auch für die weitere Musik.
Carmen Hofmanns Adleraugen sorgten wieder dafür, dass Sie auf charakterboeden.de nichts lesen, was dort nicht hingehört.
Auch dafür einen besonderen Dank.
Ich, Torsten Schmidt darf die Interviews führen und Bilder schießen, bevor Jonathan Gehlen dafür sorgt, dass alle Logos und Schriften prima aussehen, und Jan Niklas Jansen, dass auch alles dort im Netz landet, wo Sie es dann finden können.
Wir möchten gerne allen Winzer:innen für ihren Einsatz und ihre Zeit danken, heute insbesondere Eva und Hajo Becker.
Bis zur nächsten Folge, Wohlsein!